Wille 2, Die Dekonstruktion des Willens

Marcel Proust über den Willen

„Nichts geschieht so wie wir es fürchten, noch so, wie wir es hoffen. Aber alles geschieht, so wie wir es wollen.“ Marcel Proust

Dekonstruktion des Willens:

Wir haben also bereits gelesen, dass der Wille nach der Interaktionstheorie eine Interpretation des Egos ist, und dass Wille vice versa das Ego erzeugt. Beides allerdings wurde bereits enttarnt als Konstrukt, um bestimmte Zustände der Wirklichkeit verständlich zu machen. Lassen Sie uns noch einen Schritt weiter gehen.

Begeben wir uns weiter auf die Suche nach jenem Prinzip, welches die interaktiven Verhältnisse steuert. Danach, was das Verhältnis von Immanenz und Transzendenz definiert:

Warum existieren die Dinge? Weil sie interagieren. Warum interagieren die Dinge? Weil sie existieren.

Warum sind die Dinge so wie sie sind? Weil wir sie so wahrnehmen, wie sie sind. Warum nehmen wir sie so wahr, wie wir sie wahr nehmen? Weil wir sie so wahr nehmen wollen. Weil wir jene Wirklichkeit wahrnehmen, in der wir unser Selbst erhalten können. Die Wirklichkeit ist beschaffen, um unseren Bedürfnissen, unserem Willen bestmöglich zu entsprechen. Weil wir immer danach streben, weiter zu existieren.

Die Summe aller Wirklichkeiten ist das interaktive Multiversum. Objektivität ist jedoch unmöglich, da sie nicht interagieren kann. Das Multiversum strebt nach der Summe aller Möglichkeiten. Weil es sich selbst erhalten will. Und die Summe aller Möglichkeiten bedeutet nichts anderes, als Transzendenz. Alles zu be-Inhalt-en. Absolute Transzendenz wird also angestrebt. Die dem Multiversum immanenten Möglichkeiten und Wirklichkeiten sind allesamt eine Variante des Ziels Existenz. STREBEN. WILLE. VOLLKOMMENHEIT. Das Wissen aber um die unendlichen Möglichkeiten, ist Hindernis und zur Schau Stellung zugleich auf dem Weg zur Vollkommenheit.

Ein Planet ist in Balance (annähernd) zwischen Anziehung und Abstoßung – deshalb ist seine Identität, ein einen Stern umkreisender Planet relativ stabil. Es zerrt an ihm die Stern-Entität, und andererseits wirkt die autonomierende Fliehkraft. Man geht in etwas auf, oder etwas geht an einem auf. Wir streben nach Vollkommenheit. Nichts bleibt jedoch ewig stabil.
Wir verharren schließlich, wir streben, vorübergehend, so lange wir wollen können, nach der Mitte. Wir sehnen uns nach Stasis, und der sich gegenseitig ausgleichenden Gleichgewichtsverteilung. Ein Planet, in der Bahn verharrend. Weil es so sein soll. Den Status Quo erhalten. Bleiben wie wir sind. Existieren.

Wenn Bewusstsein der Interaktionsprozess von Immanenz und Transzendenz ist, dann bedeutet dies, dass die aktuelle Interaktion, also das, was am meisten Ausgleich zwischen den Gewalten sucht, der Antrieb sein muss. Es geht eben um das, was sich am meisten von einander unterscheidet. Denn diese Differenz drängt zum ehest möglichen Ausgleich. Der Sieg der Schwerkraft, der Sieg der Anziehung. Zu diesem Thema siehe das Kapitel über interaktive Zeit.

Wille vollzieht Handlung, die Existenz wahrt. Kann es sein, dass die Wille-Entität uns überhaupt erst Identität verleiht? Die Wille-Entität erschafft das kontinuierliche Selbstbewusstsein. Wille ist gleichbedeutend mit dem etwas darstellen, etwas sein, mit dem existieren um ein Verhältnis auszumachen.

Friedrich Nietzsche über den Willen

Friedrich Nietzsche über den Willen

Was bewirkt die Festlegung der mRNA beim alternativem Spleißen? Eine Rückkoppelung aus der Transzendenz… letztlich eine Notwendigkeit molekularer Begebenheiten. Transzendent dominierte Interaktion? Oder immanent? dominiert? Wir sind wieder beim Willen – Das Henne-Ei-Problem, weil der Wille selbst eine Entität ist, und daher nicht greifbar.

Das dominant-rezessive Wechselspiel ist eine Ansicht, die durch unser territorial geprägtes Wille-Kontinuum bestimmt wird. Wille bedeutet Ego-Pflege, der Wille selbst ist das Ego. Ego ist das Ergebnis des Wille-Kontinuums in Interaktion mit der Identität. Es besteht jedoch grundsätzlich keine Notwendigkeit dieser Interaktion. Aber was ist das alternative Modell? Welches, so muss man viel eher fragen, ist das nachfolgende Modell? Somit wären wir wieder beim Verdrängen des Älteren, erneut ein Spiel von Dominanz und Unterdrückung. Man neigt jedoch dazu, intuitiv zu spüren, dass es vielmehr einen Wandel braucht. Denn die negativen Begleiterscheinungen des Willens, des Spiels um die Macht des Stärkeren, können von dessen Vorteilen nicht mehr überdeckt werden.

Eine neue Wahrheit muss dann fragen: Welches Bild wird benötigt, um die Wirklichkeit zu erklären, um die Fragen zu beantworten? Das ist, was zählt. Es zählt nicht die Durchsetzung einer Theorie, denn diesem Kontinuum ist das Wille-Konstrukt immanent. Es müsste der Verdrängungswettbewerb in die Annalen der Geschichte verbannt werden, und ein zeitloses Zeitalter ohne Alterung, ohne Siege und ohne Niederlagen eröffnet werden!

Denn nur im Sieg begründet sich die Niederlage, erst Dominanz schafft Unterdrückung.

Unser über Jahrmillionen geprägtes Evolutionskonstrukt dominiert uns hier natürlich noch immer. Der Mensch ist es jedoch, der sich daraus befreien kann, denn der Mensch kann weiter gehen, und hat die biologische Evolution bereits entscheidend beeinflusst: Er überlebt nicht im Norden, weil ihm ein dickes Fell wächst, er überlebt nicht im Süden, weil er körperlich stark ist. Er überlebt, weil er die Wirklichkeit nach seinen Bedürfnissen konstruiert.

Er müsste dieses Kontinuum eintauschen gegen eines auch ohne Zeitlichkeit. Denn die subjektive dynamische Zeit an sich entspringt genau jenem Denken, welches Mangel und Überfluss erfordert. Wenn es das Ich nicht gibt, dann gibt es auch kein mehr oder weniger als das Nicht-Ich. Denn es besteht keine Notwendigkeit, etwas zu sein, mehr zu sein, weniger zu sein. Es ist dann eben.

Der Mensch wie er ist möchte zwar, wie ihm angeboren ist, eine gewisse Rolle spielen. Jedoch ist es ihm in diesem Sinne nützlich, sein Blickfeld zu erweitern, um der Frage nach dem Antrieb des Multiversums auf den Grund zu gehen. Die Antwort erscheint dann offensichtlich: Es gibt keinen absoluten Willen, so wie es keine absolute Existenz geben kann. Wenn man etwas haben WILL, dann muss man es sich von woanders holen. Und die transzendente Objektivität wäre somit nicht mehr in der Lage, etwas zu wollen, ganz einfach weil da nichts mehr wäre sonst.

Das interaktive Multiversum enthält den Willen, und das Wille-Kontinuum strebt nach Vollkommenheit, nach Transzendenz. Der Wille kann jedoch nicht transzendieren, da das Ego niemals vollkommen, niemals transzendent sein kann. Erst in seinem vollständigen Verlust würde die Transzendenz erreicht, und mit ihr das Verschwinden eben jenes Willens ebenso unweigerlich vollzogen sein.

So wie es einen Antrieb in die eine Richtung gibt, so muss es auch einen in die Gegenrichtung geben. Druck erzeugt Gegendruck, und im Multiversum muss es auch immer Ausgleich geben.

Wohin streben wir denn: zum einen hin. Also wollen wir alles sein, wollen wir transzendieren: Es strebt das Multiversum danach, strebt nach Transzendenz, und dieser Antrieb manifestiert sich in jedem Einzelnen von uns, in jeder einzelnen Universum-Realität. Jeder führt auf seine Art diese multiversale Aufgabe durch. Wir alle streben nach Vollkommenheit, und das bedeutet, das wir diese absolute, aber unmögliche Position einzunehmen trachten, als Teil dessen, was wir bezeichnen als die Summe aller Möglichkeiten: den Willen. Wille ist also letztlich nicht zu verwirklichen:
Die Illusion der Ego-Wahrnehmung sorgt dafür, unsere eigene Version der Vollkommenheit anzustreben – ein „Struggle for Perfection“ in die Transzendenz.

Wenn wir die Welt so sehen, könnte das ein entscheidender Schritt sein. Der Wille nach Transzendenz. Das Streben nach Transzendenz. Und der Gegenpol ist das Streben nach Immanenz. Dieses Wechselspiel erhält schließlich die Identität über kurz oder lang in der Existenz. Diese Kräfte sorgen für eine höchstmögliche Vielfalt, die wir selbst gestalten können.

Antrieb ist wo hin. Antrieb ist überleben. Antrieb ist über Leben. Was ist überleben: Weiter existieren. Also interagieren, und sich austauschen mit der Welt, ist subjektive Immanenzoptimierung.

Handelt es sich also um eine Egomaschine, das Leben? Oder handelt es sich beim Willen um eine Maskierungsmaschinerie, um eine Manipulation der Materie hin zu einem dominant rezessiven Wechselspiel, das nicht an sich notwendig, jedoch entdeckt und deshalb unentbehrlich ist? Wie wurde es als ein solches erkannt, und wie konnte es entstehen?

Erkannt wurde es durch seine eigenen Prägungen, das Leben, welches sich durch die Augen des Menschen, durch seinen Intellekt selbst erkennt, kann sich nur durch den Tunnel seiner eigenen Wirklichkeit realisieren. Die Projektion des Immanenten, des Antriebs, muss nach außen projiziert werden. Wie jedoch konnte ein solches Szenario entstehen? Und viel wichtiger die Frage: Wie ist ein Mensch in der Lage, etwas anderes zu denken? Wo erlange ich die Befreiung von diesem ewigen Streben nach etwas?

Vielleicht ist es so, dass wir nicht anders können, als den Willen anzuerkennen, da der Realitätstunnel, den eben dieser erzeugt, uns daran hindert, etwas anderes zu verstehen. Wir verlierten im selben Moment unsere Existenz, indem wir keinen Willen mehr erkennen würden. Gödel hat mit seinem zweiten Unvollständigkeitssatz gezeigt, dass widerspruchsfreie Systeme ihre eigene Widerspruchsfreiheit nicht beweisen können. Eine seltsame Willens-Schleife also hindert uns an der Anerkennung des absoluten transzendentalen Willens.

Wir, oder das was danach wäre, wäre also nicht nichts, sondern vielmehr etwas anderes, was allerdings innerhalb des Wille-Kontinuums, welches unsere Wirklichkeit ausfüllt, jenseits unserer Vorstellungskraft liegt.

Die Wahrheit liegt darin, dass wir immer zu einem richtigen Ergebnis kommen werden, wenn wir uns am Willen orientieren. Wir müssen jedoch anerkennen, dass andere Wirklichkeiten ohne Willen auskommen. Beispiel für eine solche Wirklichkeit müssten wohl gesucht werden, würden doch wohl nicht gefunden. Es kommt die Homöostase der Biosphäre in den Sinn, die sicherlich nichts mit Willen zu tun hat oder doch? Alles ist gewollt. Planetenumlaufbahnen können ebenso mit Gewalt erklärt werden wie die Zeugungsrituale der Bienenstaaten. Wir sind hier sehr rasch bei den Schranken unseres Denkens angelangt, bei den Grenzen des Wissens – wenn wir das unmögliche versuchen, wenn wir versuchen, die willenlose Existenz nachzuvollziehen. Dennoch ist durch Gödel bewiesen, dass es eben mehr gibt, dass also das interaktive Multiversum weitaus mehr Kontinuen beherbergt, wie wir in unserer Ego-Tunnel Realität wahrnehmen können. Und all diese Kontinuen üben dennoch, obwohl wir sie nicht (willentlich) erfassen können, ihren Einfluss auf uns aus, prägen uns und wirken auf uns. Das ist es, was die Wissenschaft von der Allwissenheit, von ihrem Ende abhält, das ist diese ewige Flucht vor der Transzendenz, die eben nicht gewollt sein kann, die einfach nur geschieht. Das ist der Ereignishorizont. Das ist die ewige Zukunft. Das ist ewige Gegenwart. 

Hier geht es zum ersten Text zum Thema Wille

Thomas Heindl, 2014

3 Gedanken zu „Wille 2, Die Dekonstruktion des Willens

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