„Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde“ – und andere Schriften, enthält drei Texte von und über Richard Buckminster Fuller. Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde ist ein herausragendes Essay über die Menschheitsgeschichte, Erkenntnistheorie und Synergetik. Der zweite Text ist eine Abhandlung über Architektur, der dritte Teil eine Autobiographie über diesen außerordentlich vielseitigen Architekten, Philosophen, Designer und Schiftsteller.
Fuller und die Menschheitsgeschichte
Vor allem der erste Teil strotzt nur so vor neuen Gedanken, großartigem Wissen und neuen Zusammenhängen. Fuller beginnt mit einem historischen Rückblick über die Menschheitsgeschichte, bei dem er die wahre Macht der frühen Neuzeit bei den Piraten, den Gesetzlosen ausmacht:
Jenen Persönlichkeiten, die außerhalb des Gesetzes standen, wie somit in Freiheit ihren Horizont erweiterten. Seiner Ansicht nach werden diese heutzutage zu unrecht als reine Gesetzesbrecher in unserem neuzeitlichen Sinne der Bedeutung angesehen. Die Piraten konnten durch ihr aus der Notwendigkeit ihrer Situation geborenes überlegenes Wissen, ihre Macht über nicht Reisende ausspielen – und machten so die territorialen Herrscher (Könige), nicht nur durch ihre Handelsbeziehungen zu insgeheimen Abhängigen und Handlangern ihrer Ziele. Potentielle Konkurrenten bindeten diese ersten Kosmopoliten der Menschheit an diese Herrscherhöfe, und sorgten so dafür, dass diese die weite Welt ihrerseits nicht kennenlernen konnten, was sie davon abhielt, zu ihren Konkurrenten zu werden.
Eine Strategie, die viele Jahrhunderte gut ging, jedoch die nur so lange, bis die Spezialisierung dieser lokal gebundenen Konkurrenten schließlich Dinge hervorbrachte, die die Piraten, Herrscher der Weltmeere, selbst nicht mehr nachvollziehen konnten: Die Universitäten waren geboren. Das Zeitalter der Wissenschaften, das Zeitalter der Spezialisierung des Wissens war geboren, und es wurde rasch dem Wissen der Universalgelehrten (Kosmopoliten = Piraten) überlegen, wie wir heute immer noch beobachten.
Fuller und Philosophie
Fuller besticht durch beispiellose Herstellung von Zusammenhängen, und inspiriert durch seine ungewöhnlichen, jedoch nicht minder klarsichtigen Sichtweisen zu unterschiedlichsten Themen:
s.41: “Der Mensch ist sehr eitel; er hat es gern, für alle vorteilhaften Ereignisse verantwortlich zu sein, und er ist unschuldig an allem, was sich nachteilig auswirkt. Alle größeren Ereignisse, die dem konditionierten Reflexverhalten der Menschen einmal günstig und einmal ungünstig erschienen, vollziehen sich nach einem evolutionären Muster, das jenseits bewusster Planung liegt und menschlichen Scharfsinn transzendiert.“
Mit diesem Gedankengang nimmt er Gedanken vorweg, die ich mit der interaktiven Definition von Identität erkläre: Dass jede Entität durch ihr eigenes Interaktionsverhältnis Bewusstsein hat, und somit ihre Realität nach ihrem subjektiven Antrieb gestaltet (in diesem Fall sind „Ereignisse“ als Entitäten zu deuten). Auch hier, diesmal in Form der Ereignissequenzen, finden wir diesen Gedankengang:
s.57: „Das Universum ist das Aggregat der von der gesamten Menschheit bewusst gemachten und kommunizierten Erfahrung mit den nichtsimultanen, nichtidentischen und nur partiell sich überlappenden, immer komplementären, wägbaren und unwägbaren, jederzeit omnitransformierenden Ereignissequenzen.“
Natürlich spreche ich zur Vereinfachung der Sichtweise statt von einem Universum, selbst vom interaktiven Multiversum. Außerdem folgt daraus, dass dieses interaktive Multiversum nicht das Aggregat allein durch die Menschheit, sondern durch alles Existierende gestaltet wird.
s.59: „Das Universum ist ein Szenario des Evolutionsprozesses ohne Anfang und Ende, weil der Teil, der gezeigt worden ist, ständig auf chemischen Weg in neuen film verwandelt wird, der dem ständig sich selbst reorganisierendem Prozess der Erkenntnis ausgesetzt und durch die letzten Gedanken belichtet wird.“
„Durch die letzten Gedanken Belichtet“, verstehe ich letztlich gleichbedeutend mit: Bewusster Interaktion der Identität, also letztlich dem Konstrukt des menschlichen Willens: Ständige Wandlung ist Fluktuation im subjektiven Universum, jedoch paradox auch im gesamten interaktiven Multiversum.
Fuller und der Reichtum
Fullers bewusst vollzogene Fähigkeit, Begriffe von ihrer zeitgeistlichen Bedeutung zu lösen, wird jedem frei denkenden Menschen sehr inspirierend sein. Seine Interpretation von Reichtum, den er vom Wert des Geldes, wie in unserer Zeit weitgehend üblich, völlig entkoppelt, zeugt einmal mehr von seiner verblüffenden Weitsicht. Dass in unserer Zeit, gut 34 Jahre nach seinem Tod, unglaubliches Wissen, eine riesige Fülle an Unterhaltung in Form von Filmen und Videos, sowie weltweite Kommunikation nahezu in Echtzeit, durch das Internet fast kostenlos und ständig zur Verfügung stehen, konnte man zu Fullers Lebzeiten nicht vorhersehen.
Noch vor wenigen Jahrzehnten waren diese Dinge für die allermeisten Menschen schlichtweg unerschwinglich, wenn nicht unmöglich. Heute dessen Verfügbarkeit für große Teile der Weltbevölkerung selbstverständlich.
Tunnelrealität
Fuller beschäftigt sich wie so viele auch mit dem, was Timothy Leary in seiner Info-Psychologie als Tunnel-Realität definiert hat. Leary hat, diesen Gedanken weiter führend, sein Schema der Neurologischen Schaltkreise entwickelt, bei der er 8 (irdische) Stufen der Wahrnehmung und somit des Bewusstseins unterscheidet. Fuller dazu ähnlich:
s.140 „99,9% dessen, was sich momentan in menschlichen Aktivitäten und in der Natur abspielt, findet innerhalb von Realitätsbereichen statt, die für die menschlichen Sinne unsichtbar, unhörbar, unriechbar und unberührbar sind. Doch die unsichtbare Realität hat ihr eigenes, gesetzmäßiges Verhalten, was die Grenzen von Gesetzen und Bewertungsmaßstäben des Menschen transzendiert. Auf die Integrität der unsichtbaren Realität ist unbegrenzt verlass. Das kann nur von einem metaphysischen Bewusstsein ganz erfasst werden, geleitet von Übertragungen dessen, was wahrgenommen wird. Nur metaphysischer Geist kann kommunizieren. Gehirn ist lediglich ein Instrument zum speichern und Abrufen von Information. Telefone können nicht kommunizieren, nur die Menschen, die diese Instrumente benutzen. Der Mensch ist metaphysischer Geist…“
Richard Buckminster Fuller war eine unglaublich produktive, kreative Persönlichkeit. Als Architekt schuf er bahnbrechende Bauwerke, experimentierte mit Materialien und Konstruktionstechniken. Aber auch in vielen anderen Gebieten ist sein Einfluss nachhaltig spürbar – Wikipedia beschriebt ihn als Architekt, Konstrukteur, Visionär, Designer, Philosoph und Schriftsteller und Erfinder. Darüber hinaus hielt er vor begeisterten Studenten und Wissenschaftler hunderte Vorträge in aller Welt, die er größtenteils aus dem Stehgreif hielt. Er schrieb dutzende Essays und Sachbücher zu philosophischen Themen, entwickelte und lebte Jahre lang nach seiner eigenen polyphasischen Schlaf-Methode, und hinterließ ganze Regale von Tagebüchern. Die sogenannten Fullerene oder „Buckys“ sind nach ihm benannt, da sie seinen geodätischen Kuppeln, seinen berühmten kugelförmigen Gebäude, ähneln. Eine sowohl exzentrisch, als auch geniale Persönlichkeit, die bis hin zu den Beatles (sie widmeten ihm den Song „A Fool in the Hill“) inspirierte.
Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften von Richard Buckminster Fuller
Verlag: Philo Fine Arts; Auflage: 3. (10. April 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3865724159
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