Mitgefühl und Altruismus zählen wohl zu den wertvollsten Eigenschaften des Menschen. Doch eben diese Eigenschaften sind zugleich Ursache von Problemen auf globaler Ebene.
Sie sind zwar keine rein menschlichen Eigenschaften – längst wurde bei zahlreichen anderen Säugern altruistisches Verhalten und Empathie nachgewiesen – jedoch wird allgemein als besonders gut, oder eben menschlich angesehen, wer anderen gerne zu helfen bereit ist.
Die zunehmende Globalisierung der Welt stärkt in mir in den letzten Tagen jedoch die Vermutung, dass der Mensch offenbar nicht dazu fähig ist, echtes Mitgefühl und Altruismus global zu zeigen. Obwohl zumindest die Christen sich mit ihrem „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ dazu verpflichtet haben. Der Tod eines großen Künstlers wie David Bowie trifft uns schwer – verhungernde Fremde in Krisengebieten lassen uns vergleichsweise relativ kalt – Obwohl jeder Mensch doch gleich viel Wert ist.
Dass man darin grundsätzlich einen menschlichen Makel sieht, halte ich jedoch für ungerecht – wie ich in meinem Kommentar Was Menschen berührt und was nicht – Mitgefühl in der globalisierten Welt auf der Blogger-Plattform fisch+fleisch.at beschrieben habe. Ich bin der Meinung, dass genau diese Eigenschaft uns eben, und zwar wertfrei, zu dem macht, was wir sind: Zu menschlichen Wesen.
Globalem Mitgefühl stehen Emotionen im Weg
Globales Mitgefühl lässt sich nicht indoktrinieren. Weil wir Menschen emotionale Wesen sind und keine logischen Roboter, die ausführen können, was uns eingegeben wird – egal ob von der Kirche oder einer anderen Entität kommend. Der Mensch nimmt das „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ also wörtlich, und liebt nunmal ihm näher stehende mehr als Fremde. Das war immer schon so und das wird gar als entscheidender evolutionärer Vorteil angesehen, da diese Eigenschaft zum Beispiel die Jagd in Gruppen und gemeinsamer Sesshaftigkeit mit all ihren Vorteilen bedingt hat.
Globalen Schaden anrichten durch gute Taten
Dennoch wirft diese Nächstenliebe in moralischer Hinsicht Probleme auf – eben weil jeder Mensch Solidarität verdient hat, weil jeder Mensch gleich viel wert ist. Weil jeder Versuch, das Prinzip der Gleichheit aller Menschen anzufechten, indiskutabel ist. Die Globalisierung hat aber unbestritten ihre Sieger und Opfer und zweitere sind nicht gerade gering in der Zahl. Diese Opfer sind Resultat menschlicher Entscheidungen, die der Mensch häufig instinktiv nicht als unmoralisch erkennen kann – eben aufgrund der Nächstenliebe (und der Liebe zu sich selbst). Die Folgen sind mitunter katastrophal: Kinderarbeit, Hunger, Ausbeutung, Umweltverschmutzung… Der Mensch schadet also anderen aufgrund seiner emotionalen Unfähigkeit – auch wenn er eigentlich gutes im Sinne hat, und zugleich tatsächlich gutes tut. Eine Eigenschaft, die evolutionäre Vorteile bringt, für die Gruppen, Sippe oder Familie. Der Menschheit (und nicht nur ihr), fügt sie auf globaler Ebene großen Schaden zu – ja resultiert gar in einer Bedrohung.
Künstliche Intelligenz potentiell menschlicher als der Mensch?
Eine spannende Frage wird sein, ob und wenn ja wie dieses grundsätzliche Problem in der Zukunft gelöst werden kann. Biologische Evolution wird hierfür zu langsam sein – kulturelle möglicher Weise ebenso – und beides muss nicht notweniger Weise positiv für den Menschen ausfallen. Als Hoffnung ist in den letzten Jahren die Technologie ins Spiel gekommen: Künstliche Intelligenz, die jene des Menschen übersteigt, könnte, wenn sie, eben als Nutzenoptimierer der Menschheit, unabhängig von Emotionen, im Sinne eben globalen menschlichen Nutzens operiert.
Falls dies gelingt, würde dies vermutlich Vorteile für wirklich jeden Menschen bringen – etwas das der Menschheit bisher wohl nur in wenigen Fällen gelungen ist. Es ist allerdings davon auszugehen, dass es einer solche KI nicht leicht gemacht werden wird, solche Ideen umzusetzen – würde sie wohl zwangsläufig Entscheidungen fällen, die menschlichen Instinkten widerstreben – für das menschliche Individuum nicht als optimale Lösungen erkannt werden. Wäre dies nicht so, würde es keinen Grund geben, dass der Mensch nicht von selbst solche Lösungen umsetzt (in der Theorie sind sie ja vorhanden).
Paradoxer Weise könnte der Mensch versuchen, aufgrund von Missverständnissen oder aus Mangel an Verständnis, in der Zukunft eben jene Optimierungen blockieren, die seinem eigenen Besten dienen. Aber auch dies wäre wohl nichts neues…
Ist globale Gerechtigkeit überhaupt möglich und erreichbar?
Dieses Thema wirft jedenfalls grundsätzliche Fragen auf: Ist globale Gerechtigkeit überhaupt möglich und erreichbar? Was ist überhaupt menschlich? Zweitere Frage ist vielleicht noch wichtiger: Es ist jetzt schon klar, dass die meisten üblicher Weise den Menschen definierenden Eigenschaften gar nicht rein menschliche sind, wie Felipe Fernandez-Armesto in seinem Buch „So You Think You are Human?“ nachweist. Wenn dies klar wird, müsste man im Grunde an den Problemlöser gestellten Aufgaben deutlich erweitern, unter Umständen gar auf den Problemlöser selbst.
Meine Buchempfehlungen zum Thema:
Thomas Heindl, 2016